UMWELTATLAS HAMBURG


STADT UND LANDSCHAFT


1.1 Der Naturraum - Geographische Charakteristik

Kapitelende

Die Landschaft der Unterelbe entstand in der Abfolge von Eis- und Warmzeiten der jüngsten Erdgeschichte, während des Tertiärs und Quartärs. Der Beginn des Tertiär wird vor 22 Mio. Jahren datiert, das Quartär dauert seit 1,8 Mio. Jahren bis heute. 

Abb. 1.1.1: (Trickfilm, 80 kB!) Europa von der letzten Eiszeit vor ca. 20.000 Jahren bis heute. Basis der Karte ist eine heutige.Satellitenkarte, die nach dem Vegetationsindex klassifiziert wurde (letztes Bild des Films). Das Original findet man unter den Web-Seiten des DFD - Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum der DLR.

In kalten Perioden bildete sich in Skandinavien ein bis über 3.000 m dicker Eispanzer, der über die Ostsee in seiner weitesten Ausdehnung bis zu den deutschen Mittelgebirgen vorstieß. Eine große Menge des Wasservorrats der Erde wurde als Eis gebunden, so daß der Meeresspiegel bis zu 200 m tiefer lag als heute. England war keine Insel, die "Nordseeküste" zog sich auf der Höhe von Schottland hin bzw. lag unter den mächtigen Gletschern. Zwischen den nordischen und den Alpengletschern lag eine Tundra, deren Boden bis in mehrere hundert Meter Tiefe dauernd gefroren war, und nur die alleroberste Schicht taute im Sommer auf. Die Elbe und ihre Nebenflüsse gruben sich im Vergleich zu heute tiefe Täler. In ihrer starken Strömung blieben nur Schotter und Kies im Flußbett liegen. 

Wurde das Klima wärmer, was seit 15.000 Jahren wieder einmal der Fall ist, schmolzen die Gletscher auf kleine Reste zusammen und ließen den Schutt, den sie unter sich abgerieben und mitgeschoben hatten, in großen Halden zurück, den Moränen. Bis auf wenige Ausnahmen wie die Segeberger Kalkfelsen oder Helgoland findet man in der Umgebung Hamburgs keinen "festen" Untergrund. Die so zurückgebliebene Hügellandschaft, die das Elbtal einrahmt, heißt die "Geest". 

Wegen des abgetauten Eises holte sich der Atlantik die Nordsee zurück. Je näher die Küstenlinie rückte, wandelte die Elbe bei Hamburg ihren Charakter von Mittel- auf Unterlauf bzw. Mündungsgebiet, in dem schließlich sogar Flut und Ebbe hin und herschwappten. Sie floß gemächlicher, so daß feinere Partikel wie Sand und schließlich Schlick sich ablagern und das Tal auffüllen konnten. Dies geschah in den Nebenflüssen ebenfalls.

Wasser, d.h. Eis, Meer und Flüsse, formte durch Erosion, Transport und Ablagerung die Landschaft im wesentlichen. Doch auch der Wind hinterließ sichtbare Spuren. Auf der Leeseite des Elbtals, also im Osten und Südosten wehte er den Sand vom Strand zu Dünen vor dem Geestrand auf. Die Boberger Düne, die Besenhorster Sandberge bei Geesthacht und die Holmer Sandberge sind noch erhalten. Das heutige Ergebnis der Kräfte zeigt die


Abbildung 1.1.2.(Vermutliches) Relief des Hamburger Elbtals ohne menschliche Eingriffe. Das Geländemodell wurde erzeugt, indem aus topographischen Karten die Höhenlinien abdigitalisiert und sodann die Konturen durch das Programm IDRISI interpoliert und geglättet wurden.

Nicht nur die Oberfläche wurde modelliert, der gesamte Untergrund ist (heute noch) in Bewegung. Die Scholle der Erdkruste, auf der Hamburg steht, kippt um eine Achse, deren Verlauf man sich von Norddänemark nach Polen denken muß. Auf unserer Seite dieser tektonischen Wippe sinken wir mit einer Geschwindigkeit von 2 mm pro Jahr, der gegenüberliegende Teil, ganz Skandinavien also, hebt sich entsprechend. Lokal bewegt sich der Untergrund ebenfalls, nämlich durch die Salzstöcke. Salz lagerte in fernen Zeiten der Erdgeschichte sich ab, wenn Meerwasser in Lagunen verdunstete. Schicht um Schicht bildeten sich neue Gesteine darüber. Unter Druck wurde die Salzmasse plastisch, und da sie spezifisch leichter ist als sonstiges Gestein, begann sie als riesiger Tropfen nach oben zu schwimmen. Dabei drückt der "Salzstock" den Boden genau über ihm hoch mit Geschwindigkeiten von bis zu 5 mm pro Jahr ! In Hamburg liegen Salzstöcke in Reitbrook, Schnelsen und Langenhorn. 

Die Erde bebt zwar nicht, aber sie ist im Unterelberaum sehr lebendig. Wenn man sich bewußt macht, daß radioaktiver Müll, den man in einen Salzstock gepackt hat, in 10.000 Jahren - wenn er immer noch hochgefährlich ist - seine Lage um 50 m verändert hat, dann kann man das "Atomklo" Gorleben nicht so sorglos betrachten. Das Bauwerk Deponie kann solchen geologischen Kräften auf Dauer nicht standhalten, noch sind sie von uns und unseren Nachfahren kontrollierbar. Kontrollierbar hingegen ist, ob Energie (Kap. 2.2) mit oder ohne radioaktiven Abfall heute erzeugt werden soll. 

In der jüngsten Phase geologischer Prozesse, der Bildung des (Ober)Bodens (Kap. 5.3), mischen sich natürliche geologische und biologische Vorgänge und menschliche Eingriffe. 

Auf der Geest wuchs ein Urwald aus Eichen und Buchen, der einen entsprechenden Waldboden unter sich hatte. Schon in der Steinzeit siedelten hier Menschen. Sie schufen Lichtungen für kleine Äcker, nutzten den Wald zur Schweinemast und formten so ihre Umwelt. Beginnend in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten wurde der Urwald großflächig gerodet und war im späten Mittelalter praktisch verschwunden. Das förderte die Erosion. Äcker und Wiesen bilden einen anderen Bodentyp. Es entstanden große Steppen, die Heide um Lüneburg z.B. wegen der Salzgewinnung, oder die Knicks, die Wald als Holzquelle und Erosionsschutz ersetzten. Man findet Knicks vor allem auf der holsteinischen Geest, weniger auf der niedersächsischen Seite, denn ein Gesetz des Dänenkönigs, früher Landesherr nördlich der Elbe, forderte die Knickpflege. 

Abb.1.1.3: Oberflächenrelief des Hamburger Raums heute. Besonders das Stromspaltungsgebiet wurde seit ca. 150 Jahren stark überformt. Gut erkennbar sind die Hafenbecken, die aufgehöhten Hafen- und Industriegebiete in der Marsch, und künstliche Gewässer wie der Alsterstausee.

Ins Marschland, die amphibische Wildnis, wagten sich Menschen lange nicht hinein. Nichtsdestoweniger haben sie verändert. Der Bergbau und Rodungen im oberen Elbeeinzugsgebiet seit dem 6./7. Jahrhundert n. Chr. förderte dort die Bodenerosion. Die ursprünglich das ganze Unterelbtal überziehende Schilf- und Binsen-Prärie wich auf die Ufersäume zurück zugunsten eines Auwaldes, weil Bäume die verstärkte Schlickanschwemmung besser vertrugen.



Abb. 1.1.4 : Querschnitt durch das Elbtal, Ursprungszustand und Veränderungen durch Menschen

Die Urbarmachung und Besiedlung der Marschen begann im frühen Mittelalter. Die nutzbare Fläche auf der sturmflutsicheren Geest wurde nämlich knapp. Im Deichbau versierte holländische Einwanderer lieferten das Know-how, durch das ein Landschaftsraum von mehreren tausend Quadratkilometern radikal verändert wurde. Innerhalb der Köge wurde der Auwald völlig durch Äcker und Weiden ersetzt. Da vor Überflutungen geschützt, bildeten sich keine neuen Schlickschichten. Vielmehr sackte der Boden durch die Entwässerung über das Grabensystem in sich zusammen. 

In echt, umsonst und draußen ist das hier Geschriebene an einigen Stellen in Hamburg zu besichtigen. Wer fit genug ist, kann es auf einer Fahrradtour an einem Tag schaffen. 

Vom Urwald auf der Geest existiert nichts mehr. Einen guten Querschnitt durch die Kulturlandschaft, die an seine Stelle getreten ist, bietet eine Route vom Sachsenwald (Aumühle), entlang der Bille in ihrer typischen Ausprägung als Geestfluß, über Ohe, Reinbek und Havighorst nach Boberg oder Mümmelmannsberg. Von dort durchkreuzt man eine exemplarische Abfolge : Boberger Geestrand, ein Geestrandmoor, das Achtermoor, die Boberger Düne, den Billwerder und die Bille, diesmal als träger Fluß in der Marsch. Für die Ur-Marschlandschaft heißt es dann aber bis zum Heuckenlock an der Süderelbe zu fahren, dem einzigen echten Auwald. Die Fischbeker Heide in den Harburger Bergen ist das Ergebnis einer sehr spezifischen Landschaftsnutzung durch Holzgewinnung und Schafweide. Durch den Moorgürtel kommt man in Finkenwerder zu einem im Mittelalter angelegten typischen Koog zwischen Alter Süderelbe, Norderelbe und Köhlfleth. Das sehr viel schöner erhaltene Beispiel Altenwerder ist leider vom Senat auf brutalste Weise vernichtet worden. Von Finkenwerder mit der Fähre nach Teufelsbrück erreicht man den Jenisch-Park. Herr Caspar Voght legte Ende des 18. Jahrhunderts seinen Reichtum an, indem er ein Mustergut, einen Park und seinen eigenen Wohnsitz bewußt in die Landschaft des Flottbektals einfügte. Dann reicht es gerade noch, kurz abwärts von Wedel einen Blick aufs Haseldorfer Vordeichland zu werfen: eine derartige Binseneinöde, nur viel breiter und weiter, war das Ur-Ur-Marschland. 

Trotz der geringen Einwohnerdichte hinterließ menschliche Tätigkeit deutliche Spuren in der Landschaft. Die énderungen traten jedoch so langsam ein, daß die "wilde" Natur sich anpassen konnte. Die Knicks z.B., der "Waldrand ohne Wald", und die Heide sind so artenreiche Lebensräume geworden, daß uns diese zivilisierte Umwelt mehr wert ist als die sich natürlich einstellende Wildnis. Knicks werden vor dem "Ausgeilen", dem Durchwachsen großer Bäume, "auf den Stock gesetzt", d.h. abgemäht, die Heide wird vom Birken-Unkraut künstlich sauber gehalten. Seit der Industrialisierung vor hundert Jahren und dem Nachschlag der letzten beiden Jahrzehnte ist eine neue Qualität der Umweltveränderung zu beobachten. Die technischen Fähigkeiten versetzen uns in die Lage, gegen alle natürlichen Begrenzungen anzubauen. Hamburg ist nicht Stadt in Landschaft, sondern Stadt statt Landschaft. 

Über die Entwicklung der Stadtumwelt wird in den folgenden Kapiteln berichtet. Dies deutet eine Perspektive für die Zukunft unserer Landschaft an: weniger Landschaft. Oberflächlich betrachtet hat nach Jahrhunderten der Kultivierung die Mischung aus Forsten, Äckern und Weiden einen stationären Zustand erreicht. Intensive Nutzung hat jedoch fast alle Nischen mit reichhaltiger Vegetation und Tierwelt beseitigt. Die Eindeichungen müssen an der Wasserstraße Elbe ein Ende finden. Die auch im Lauf eines Menschenlebens merkbare Änderung wird der Anstieg des Meeresspiegels sein. Zu dem Absinken unserer Platte der Erdkruste und der Setzung des Schlickbodens (s.o.) wird das Abschmelzen der polaren Eiskappen durch den Treibhauseffekt kommen. Immer höhere Deiche und riesige Sperrwerke werden an eine Grenze stoßen, nämlich die Tragfähigkeit des Untergrunds für solche Baumassen. Entweder der Mensch gibt Teile des Marschlands als Überlaufpolder bei Sturmfluten auf, oder das Meer holt sich unkontrolliert die Flächen, die es sowieso kriegt (dazu mehr im nächsten Kapitel). 

K. Baumgardt 

Erstellt Dezember 1991

letztes Update März 2000


Lesestoff: 

    R. Brunnengräber: Deutschland - Deine Landschaften; dtv, 1985

    A. Ringler: Gefährdete Landschaft; 2001-Verlag, 1987

    Arbeitsgemeinschaft zur Reinhaltung der Elbe (ARGE Elbe): Gewässerökologische Studie; 1984

    H.H. Poppendieck (Hrsg.): Botanischer Wanderführer rund um Hamburg; Botanischer Verein zu Hamburg/ Christians; 1991

    Konzept zur Pflege und Entwicklung schützenswerter Biotope der Vier- und Marschlande; Umweltbehörde; 1985

    Faltpläne Naturschutzgebiete; Umweltbehörde

    F. Hesse, S. Borgmann, J. Haspel u.a.: Was nützet mir ein schöner Garten?; VSA, Hamburg 1990


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