Gutachten des Umweltministeriums fordert nationales Seehafenkonzept

Ohrfeige für gewohnte Standort-Konkurrenz

Von Herbert Nix

Nun ist sie da, die von verschiedenen Organisationen seit mehr als zwei Jahrzehnten geforderte nationale Seehafenkonzeption, genauer: die Untersuchung diesbezüglicher Nachhaltigkeitsaspekte. Per Kabinettsbeschluss vom 15.September 2004 hatte die damals noch rot-grüne Bundesregierung beschlossen, ein solches Seehafenkonzept erarbeiten zu lassen. Im Sommer dieses Jahres wurde das noch vom ehemaligen grünen Umweltminister Jürgen Trittin in Auftrag gegebene Gutachten "Nachhaltigkeitsaspekte der nationalen Seehafenkonzeption" (1) veröffentlicht. Aber kaum einer nahm Notiz davon.

Wahrscheinlich würde diese Studie des Bundesumweltministeriums (BMU) auch weiterhin in den Schubladen der Regie­rungsbehörden dahinschlummern, hätten nicht der Hamburger Förderkreis »Rettet die Elbe« (RdE) und die Aktionskonferenz Nordsee (AKN) gemeinsam gemäß Infor­mationsfreiheitsgesetz einen Antrag auf Überlassung des Gutachtens gestellt (2). Vorrangiges Ergebnis der Akteneinsicht: Die Studie bestätigt die Forderung der Um­weltverbände nach einem Hafenkonzept

Zielsetzung des Gutachtens "Nachhal­tigkeitsaspekte der nationalen Seehafen­konzeption« von Prognos und ProgTrans ist es, eine nationale Strategie für die see- und landseitigen Anbindungen der deut­schen Seehäfen zu entwickeln: "Dahinter steht die Einsicht, dass Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Seehäfen nur auf der Grundlage einer abgestimm­ten, die Ziele der Nachhaltigkeit berück­sichtigenden Gesamtkonzeption erhalten, weiterentwickelt und finanziert werden können. Im Rahmen dieser Seehafenkon­zeption sollen die Infrastrukturinvesti­tionen des Bundes für die deutschen See­häfen der nächsten Jahre nach Maßgabe der knappen verfügbaren öffentlichen Mittel ausgewählt werden" (1).

Wie von RdE und AKN ebenfalls schon seit langem gefordert, kommt auch das BMU-Gutachten zu dem Schluss, dass mehr Transparenz bei den staatlichen Subventionen für die Hafenwirtschaft nötig ist. um Fehlinvestitionen zu verhin­dern beziehungsweise die Gefahr solch fa­taler Entscheidungen zu verringern. Die Wirtschaftlichkeit von Infrastrukturpro­jekten, so die Baseler Gutachter, müsse stärker hinterfragt werden. Der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) weise hinsicht­lich der Bewertung von Wasserstraßen­projekten erhebliche Defizite auf. da wichtige Folgekosten von Ausbaumaßnahmen der seeseitigen Zufahrten in den Nutzen-Kosten-Analysen nicht berück­sichtigt würden ."Die Gutachter", bilanziert das BMU in einer Pressemitteilung, "empfehlen dem Bund, im Rahmen seiner Hafenpolitik auf Verbesserungen der Effizienz und das Aus­schöpfen von Einsparpotenzialen hinzu­wirken. Dies gilt im Hinblick auf die Pla­nung der Infrastruktur als auch durch eine veränderte Arbeitsweise der Häfen. Damit können gleichzeitig auch Möglich­keiten für eine umweltfreundlichere Ab­wicklung der Transporte aus dem und ins Hinterland der Häfen erschlossen werden"(3): eine schallende Ohrfeige für die bisherige Hafenplanung.

Laut BMU-Gutachten ist "der Kosten­deckungsgrad der staatlichen Hafeninfra­struktur (in Hamburg, Bremen und Nie­dersachsen) mit rund 30 Prozent sehr niedrig" (1). Im Umkehrschluss bedeutet das, dass nicht nur die Infrastruktur, son­dern auch der Hafenumschlag selbst mit öffentlichen Geldern subventioniert wird. Das Gutachten fordert, wie auch die Um­weltverbände, eine neue deutsche Hafen­politik. Bund und Küstenländer sollten den ruinösen Konkurrenzkampf der See­häfen stoppen und ihre Investitionen ko­ordinieren. "Die Zuschüsse des Bundes zu großen seehafenbezogenen Infrastruktur­projekten sind an eine standortübergrei­fend abgestimmte Planung zu binden. Bevor Gelder fließen, muss nachgewiesen werden, dass die Planung länderübergrei­fend abgestimmt ist. Die Forderung geht insoweit über das heutige Abstimmungs-Prozedere hinaus, als die Politik einer re­gionalen Standort- und Wirtschaftsförde­rung zugunsten einer Politik der Entwicklung des Seehafenstandorts Deutschland in seiner Gesamtheit zurück­treten muss".(1)

Aktuell wird an der Jade der Tiefwas­serhafen Wilhelmshaven geplant, in Ham­burg ist soeben eine weitere Vertiefung der Elbe beantragt worden, in Bremen ist Mitte August die Einwendungsfrist gegen das Planfeststellungsverfahren zur Vertie­fung sowohl der Unter- als auch der Außenweser (4) abgelaufen, und auch die Ems soll einen weiteren Ausbau erleiden müssen (5). Zusammen mit anderen Ha­fenausbauten und Flussvertiefungen be­laufen sich die Kosten für diese ökologisch problematischen Maßnahmen auf rund zwei Milliarden Euro, die vom Steuerzahler aufgebracht werden müssen. Jedes Bundesland an der norddeutschen Küste plant ohne Abstimmung untereinander munter drauf los!

Betrieb an Bremerhavens Terminal: Jeder Hafen plant und baut für sich.

Foto: EUROGATE GmbH & Co. KGaA, KG

Auch mit den Hinterlandanbindungen - Schiene, Straße, Binnenwasserstraße - befasst sich das Gutachten. In den BVWP 2003 sind 15 Projekte für die see- und landseitigen Anbindungen der Seehäfen unter "vordringlichem Bedarf" aufgenom­men worden. Nach dem äußerst umstrit­tenen BVWP- Bewertungsverfahren (6) sind diese Projekte vom Nutzen her alle positiv zu sehen. Laut BMU-Gutachten be­ruhen die entsprechenden Prognosen al­lerdings auf einer Zahlenbasis aus dem Jahre 1997: "Diese sind vor allem hin­sichtlich der tatsächlichen Mengenent­wicklung in den deutschen Nordseehäfen überholt. (...) Das Bundesverkehrsministerium lässt gegenwärtig eine aktualisierte Verkehrsprognose für die Bundesverkehrswegeplanung erarbeiten" (1). Es ist ange­sichts der derzeitigen Umschlagszahlen zu befürchten, dass die daraus resultierenden künftigen Planungen noch gigantischer werden - wenn nicht endlich die geforder­te, zwischen den Hafenstandorten abge­stimmte Konzeption Wirklichkeit wird.

Aber die Baseler Gutachter legen in ihrer Kritik am BVWP noch einen drauf: Zwar seien "bei der Erarbeitung des Verkehrsmengengerüsts Interdependenzen zwischen einzelnen Projekten berücksich­tigt" worden, insgesamt aber bleibe "die gesamtwirtschaftliche Bewertung doch eine Einzelprojektbewertung" (1). Eine Betrachtung etwa der "CO2-Emissionen aller Ausbaumaßnahmen im Hinterland der Seehäfen in ihrer Gesamtheit" müsse zu der Feststellung führen, "dass die Emis­sionsbilanz weit ungünstiger als bei den Einzelprojektbewertungen" ausfiele, sie stünde damit "den Klimaschutzzielen der Bundesregierung" entgegen.

Scharfe Kritik melden die Gutachter auch an den weiteren Nutzen-Kosten-Be­rechnungen an. So seien beispielsweise "die Unterhaltungskosten (...) insbesonde­re bei der Elbevertiefung mit 6,7 bis 11,6 Millionen Euro pro Jahr sehr gering ange­setzt, vor allem auch im Vergleich mit den Unterhaltungskosten, die bei der Vertie­fung der Außenweser angesetzt werden (je nach Ausbauvariante zwischen 50 und 370 Millionen Euro)". Ein Einwand, der mehr als berechtigt ist: Aktuell wer­den allein in Hamburg für die Unterhaltungsbaggerungen rund 80 Millionen Büro pro Jahr ausgegeben - wieso sollte sich das künftig verringern? Die Gutach­ter des BMU glauben das nicht und kom­men zu dem vernichtenden Urteil: "Unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte würde das Nutzen-Kosten-Ver­hältnis weit ungünstiger aussehen und es wäre fraglich, ob die Projekte noch in den vordringlichen Bedarf fallen würden". Zudem seien "wichtige Untersuchungen, zum Beispiel zur Deichstabilität oder zur Frage des Salzwassereintrags in das Grundwasser, noch nicht abgeschlossen", mahnen die Baseler Forscher weiter: "Auf der Basis dieser Untersuchungen könnten weitere bautechnische Sicherungsmaß­nahmen erforderlich sein, die die Investitionskosten in die Höhe treiben."


Foto: BLG LOGISTICS

Die Forscher haben an den Schluss ihres Gutachtens zehn so genannte Leit­gedanken gestellt, die der Bundesregie­rung als Mahnung und Anregung zur Fortentwicklung ihrer Hafenkonzeption dienen sollen. Die Studie enthält nicht nur eine umfangreiche Bestandsaufauf­nahme und Bewertung der norddeut­schen Häfen, sondern auch, wie von den Umweltverbänden seit langem gefordert, der großen Konkurrenzhäfen Rotterdam und Antwerpen. Denn die Gutachter hal­ten es für geboten, mit Hilfe einer stan­dortübergreifenden Planung und selbst einer europaweiten Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen eine "gemein­same Identität als Hafenstandort Deutsch­land" anzustreben".

Wie allerdings solche Forderungen und das Gutachten insgesamt in den aktuellen und zukünftigen Planungen Berücksich­tung finden, steht derzeit noch in den Sternen. Nach Angaben des BMU soll der Schlussbericht des Forschungsvorhabens "in die Vorbereitung der 5. Maritimen Konferenz in Hamburg (Dezember 2006) sowie in den zu erarbeitenden Masterplan Güterverkehr und Logistik einfließen" (3). Umweltschützer und andere Gegner der ruinösen Hafenkonkurrenz können dem mit Hilfe dieses Gutachtens etwas nach­helfen, denn sie finden dort sehr viele Ar­gumentationshilfen und Sachinformatio­nen, um beispielsweise in den aktuell anstehenden Verfahren zur Weser- oder Elbevertiefung die entsprechenden Pla­nungen zu hinterfragen.

Anmerkungen:
  1. "Schlussbericht Nachhaltigkeitsaspekte der nationalen Seehafenkonzeption": Im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin, erarbeitet von ProgTrans AG / Prognos AG, Basel; 15. Juni 2006;FKZ: 905 96 159/02; http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/appli-cation/pdf/hafenkonzeption_schlussb.pdf
  2. Antrag auf Akteneinsicht nach Informationsfrei­heitsgesetz, RdE / AKN, vom 19. Juni 2006
  3. BMU: Pressemitteilung Nr. 178/06 vom 7. Juli 2006
  4. siehe auch Bericht Seite 7
  5. siehe auch Bericht Seite 9
  6. Grenier, Alain: Straßenbau definiert Straßenbau - Der Bundesverkehrswegeplan fußt auf fehlerhaften Berechnungsmethoden; in WATERKANT 3 / 2003, Seite 25 ff.
 
Diese Artikel wurde in der Waterkant Nr. 3 / 21. Jahrgang, September 2006 veröffentlicht.

Oktober 2006


Hafen Hamburg Inhaltsverzeichnis
zurück zur Homepage