Mühlenberger Loch

Ein besonderes Biotop

Kapitelende 
In der ca. 50 km langen Strecke der Unterelbe, die schon unter Tideeinfluß steht, aber noch Süßwasser führt, nimmt das Mühlenberger Loch schon durch die Größe eine Sonderstellung ein. Massive Verbauung des Stromspaltungsgebiets durch den Hafen, eine unnatürlich tiefe Stromrinne für die Schifffahrt und Vordeichungen, die seit den 60er Jahren fast überall bis an die Ufer vorgezogen wurden, haben nur wenige Flachwasser-, Watt- und Vordeichgebiete übrig gelassen. Nichtsdestoweniger wurden diese Gebiete kaum im Zusammenhang wissenschaftlich untersucht, so daß es schwerfällt zu bestimmen, was denn einen Eingriff wie die DA-Erweiterung ins Mühlenberger Loch so heikel macht. 

Hydrobiologie

Eine rühmliche Ausnahme vom üblichen Stückwerk machen die Arbeiten von R. Thiel et. al. vom Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft der Universität Hamburg über die Fischbestände in den Flachwasserzonen der Tideelbe. 

R. Kafemann, R. Thiel und A, Sepulveda; Arch. Hydrobiol. Suppl, 110, März 1996
Die Biomassekonzentration wird in keinem der stromab gelegenen Untersuchungsräume bei Hahnöfersand, Lühesand, Haseldorf, Pagensand und Glückstadt erreicht. Die hohe Individuenkonzentration im Mühlenberger Loch zeigt im Verhältnis zur Biomasse an, das hier vor allem Jungfische vorkommen. Wenn allein in den pauschalen  Messungen das ML sich so deutlich von den nur wenige Kilometer entfernt liegenden anderen Flachwasserzonen unterscheidet, wie erst dann, wenn man genauer aufschlüsselt, was hydrobiologisch im ML vor sich geht!  Die Wirtschaftsbehörde ist trotz umfangreicher Planunterlagen nicht fähig, das zu erklären und vorherzusagen, was nach der Zuschüttung des ML passieren wird. Geradezu vermessen ist der Anspruch der Wirtschaftsbehörde, durch schlichtes Ausbaggern neuer Wattgebiete einen Ersatz zu schaffen. Welcher Hydrobiotoptyp daraus entstehen wird, kann sie nicht wissenschaftlich seriös prognostizieren. 

Avifauna

Eine detaillierte Untersuchung der Vogelbestände im Mühlenberger Loch wurde von A. Mitschke und S. Garthe (Hamburger avifaun. Beitr. 26 (1994), 99-235) angefertigt, und zwar im Auftrag des Wasser- und Schiffahrtsamts Cuxhaven und der Umweltbehörde Hamburg. Motiv der Auftraggeber war abzuschätzen, welche Folgen eine Tankerhavarie haben könne. Heute wissen wir, daß der Senat von Hamburg gefährlicher ist als eine Ölpest. Als Beispiel aus der Arbeit vom Mitschke und Garthe sei die Löffelente (Anas clypeata) gewählt: 
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(DA- Erweiterung nachträglich eingefügt, d. Verf.)
Die Löffelenten folgen der Wasserlinie der ein- bzw. auslaufenden Tidewelle und seien mit ihrem Schnabel aufgewirbeltes Plankton, Würmer und dergleichen aus dem Wasser. Deshalb halten sie sich bevorzugt im östlichen Watt des ML auf. Das ML ist besonders planktonreich, was auch eine Erklärung für die vielen Jungfische ist (s.o.). 

Zunehmend beliebter wurde das ML in den letzten beiden Jahrzehnten bei den Löffelenten. 

Logischerweise fliegen im Herbst mehr Enten in den Süden, als im Frühjahr zurückkehren. Schwund tritt ein durch natürlichen Abgang und sicher auch durch schießwütige italienische Jäger, die gerne die Ente mit dem Löffel essen. Der Senat geht das Problem auf manierlichere, stille hanseatische Art an, indem er den Rastplatz zuschüttet, auf den die Enten, den Gefahren des Südens entkommen, mit letzter Kraft zufliegen. Wenn nach dem ML nur noch Rastplätze 2. und 3. Wahl in Reichweite liegen, wird der geschwächte Bestand in seiner kritischsten Phase weiter dezimiert. Unverständlich ist nur, warum der Senat stattdessen die Enten nicht fängt und brät. Vielleicht liegt das an der lustfeindlichen protestantischen Kultur dieses Landes, wohingegen Katholiken sich die Sünde erst schmecken lassen, dann büßen.

In den Planunterlagen fehlt eine detaillierte Diskussion der Bestandsentwicklung der durch die DA-Erweiterung betroffenen Vogelarten. Vor allem fehlt ein quantitativer Vergleich mit anderen Rastplätzen für Zugvögel in Hamburg und im Unterelberaum (vgl. Fischbestandserhebung, s.o.), ob z.B. Löffelenten in der Billwerder Bucht rasten bzw. warum sie das dort nicht tun. Neben dem "Artenhilfsprogramm Brutvögel", das die Umweltbehörde 1995 veröffentlichte, fehlt ein gleichartiges Kataster der Zugvogelarten. Da der Beobachtungsraum der staatlichen Vogelwarte Hamburg über die Landesgrenze hinaus die Elbmarsch bis Pagensand abdeckt, wären alle mit dem ML vergleichbaren Biotope erfaßt. Dadurch könnte beurteilt werden, welche Funktion und Wertigkeit diese Lebensräume für die Avifauna haben. Es würde sich herausstellen, daß ein Eingriff in das ML nachhaltigen, für einige Arten fatalen und nicht ausgleichbaren Schaden anrichten wird. Die Umweltbehörde hat bis heute kein "Artenhilfsprogramm Zugvögel" zustandegebracht, obwohl hunderte von ehrenamtlichen Ornithologen ihre Beobachtungen melden. Im Gegenteil, es wurde die Stelle des "Staatlichen Vogelwarts" gestrichen und mit der Pensionierung des letzten Amtsinhabers im letzten Jahr auch nicht mehr de facto wahrgenommen. Betrachtet man das Ergebnis dieser Politik im jetzigen Verfahren, ist das Verhalten der Umweltbehörde als Sabotage am Naturschutz zu bezeichnen. 

Botanik

Vordeichland wurde in den vergangenen Jahrzehnten an der Unterelbe weitgehend eingedeicht oder aufgespült. Auch am ML ist nur ein schmaler Streifen übrig geblieben. Weil so selten, gehört  Vordeichland und seine typische Vegetation zu den seltensten und schützenswertesten Biotoptypen in unserer Landschaft, siehe Heuckenlock, Haseldorfer Marsch, Twielenflether Sand u. dergl. . Die DA-Erweiterung wird die jetzige Situation umwälzen, und erst nach Jahrzehnten wird sich vor der neuen Hochwasserschutzlinie ein neues Land-Wasser Gleichgewicht bilden. Ob z.B. der Schierlingswasserfenchel (Önanthe conioides) diesen Prozeß durchhält, kann die Wirtschaftsbehörde nicht vorhersagen. 
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Vielleicht ist das Kraut giftig, vielleicht enthält es ein Heilmittel gegen AIDS, vielleicht ist es zu garnichts nützlich. Das wenige, was über die Pflanze bekannt ist, lautet zusammengefaßt: 
  • sie kommt nur in der Pflanzengemeinschaft im Vordeichland vor, aber nicht in jedem Vordeichstreifen
  • künstliche Pflanzversuche sind bisher fehlgeschlagen
  • sie kommt nur an der Elbe vor
  • die Stadt Hamburg ist nach dem eigenen Naturschutzgesetz und durch die EU-Richtlinie besonders verantwortlich, sie zu schützen.
In den von der Wirtschaftbehörde vorgelegten Plänen sind weder über den Schierlingswasserfenchel und noch weniger über die Vegetationsgesellschaft am ML ausreichende Informationen vorhanden, die eine Prognose erlauben, welche Folgen der Eingriff haben wird, ob, in welchem Umfang und welchem Zeitraum sich die Pflanzenwelt regenieren wird. 

Alles zusammen

Die bisher genannte drei Aspekte sind nicht isoliert voneinander zu begreifen. Sie liegen nicht nur zufällig räumlich im ML, sondern sind funktional zusammenhängende Teile eines Komplexes. 

Als übergreifende Ökosystembewertung berufen sich die Antragsteller auf das "Staatsrätemodell". Die Methode bewertet in erster Linie Biotope nach ihrem formalen Typ. Die Werteskala ist so gelegt, daß man schon vorhandene wertvolle Biotope durch Ÿnderung ihres Typs "aufwerten" kann. Mit einer wissenschaftlichen Beschreibung des Systems ML hat das Staatsrätemodell nichts zu tun. 

Die Antragsteller aus der Wirtschaftsbehörde haben in ihren Planunterlagen den Beweis erbracht, daß sie in ihrer ganzen Einstellung und fachlich im Detail nicht fähig sind, ein Ökosystem wie des Mühlenberger Loch zu erfassen, seine Funktionen zu erklären, seine Entwicklung unter verschiedenen Voraussetzungen zu prognostizieren, und gar die Wirkung von "Ausgleichsmaßnahmen" abzuschätzen. Den Antragstellern darf deshalb nicht gestattet werden, ihr Vorhaben durchzuführen. 


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